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Buch-Tipp: "Die Erfindung des Lebens" oder wie therapiere ich mich selbst?!
Aktualisiert: 6. Juli 2021
Das Buch „Die Erfindung des Lebens“ handelt von Johannes, dem fünften Kind der Familie, und dem einzig überlebenden Kind dieser Familie. Die traumatisierte Mutter verstummt und bindet Johannes
in eine symbiotische Beziehung ein, die den kleinen Jungen mehr und mehr ihre Verhaltensweisen annehmen lässt, so dass er schließlich ebenfalls verstummt. Dem pragmatischen und leidenschaftlichen Vater ist es zu verdanken, dass er mit überbordendem Engagement und feinfühligem Ideenreichtum sein Kind im Grundschulalter zum Sprechen bringt. Doch längst haben sich die mütterlichen Verhaltensweisen und ihre extreme Zurückgezogenheit in die Lebensstruktur des Kindes eingebrannt. Johannes ist somit kein ‚normales‘ Kind, und sein Leben besteht aus Leid, Einsamkeit und Angst.
Wenn du einer lebendigen Langzeittherapie beiwohnen möchtest, dann lies dieses Buch. Du erlebst,
wie tiefgründig Johannes empfindet und welche Details ihm auffallen, sowohl in seinem Innenleben als auch in der Außenwelt. Immer wieder, und das ist das Beeindruckende, schaut er in sich hinein, um
das Gefühl, was noch hinter einer Empfindung liegt, zu fühlen und zu benennen. Er fordert sich auf, erlittenen Seelenschmerz zu kontaktieren, um im Halten und in der Bewusstwerdung des Gefühls
den Schmerz verabschieden zu können. Dafür hat er nicht etwa einen Therapeuten zur Seite, der ihn
führt und an den bedeutsamen Stellen die richtigen Fragen stellt, nein, er geht diesen Weg allein, in sich selbst eingebunden. Ohne Unterlass verarbeitet er so seine Kindheitsthemen, reflektiert sich und findet immer wieder den Mut, gravierende Niederlagen zu überwinden und seinem Leben einen neuen Sinn zu verleihen.
Die Wortführung hat ihrerseits bereits therapeutischen Wert. Die Sprache ist äußerst fein und eloquent. Französisches Flair, italienische Leidenschaft und deutsche Genauigkeit vereinen sich zu einer Poesie, die wie ein Musikstück, und um Musik geht es im Kern des Geschehens, auf- und abschwellend, laut und leise, gereizt und sanft mich als Leser durchflutet. Ich nehme direkt teil am Leben Johannes‘, an seinen inneren Schritten und tiefgründigen Erkenntnissen.
Mich hat dieses Werk tief berührt. Eigene Prägungen aus selbstverständlich anderem Hintergrund
– aber letztendlich haben wir als Menschheit stets ähnliche Themen, wenn auch anders gewichtet – klangen an und ergaben Öffnungen in mein Wesen hinein. Ergreifendes Mitgefühl und echte Freude stellte sich ein, je nachdem, was Johannes gerade durchlebt. Es tut fast weh, wenn die Lektüre ausgelesen ist und das Abtauchen in die faszinierende Welt eines Künstlers und wandlungsbereiten Menschen endet.

Die Erfindung des Lebens
Hanns-Josef Ortheil
btb Verlag, 23. Auflage, April 2011, 590 Seiten
ISBN 978-3-442-73978-3
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