Sich mit dem Tod beschäftigen
- antinaspringer
- vor 11 Minuten
- 6 Min. Lesezeit
Was ist Sterben für mich?
…und warum könnte es wichtig sein, darüber zu sprechen?
Im Noveber'25 nahm ich an einem Seminar in biodynamischer Craniosakraltherapie teil, in dem es
um Sterbeprozesse ging.
Der Tod betrifft denjenigen, der seinen physischen Körper ablegt und die Erde verlässt und bringt diejenigen, die zurückbleiben, in einen umfangreichen Prozess, in dem Abschied, Verlust und Trauer verarbeitet werden müssen. Beide Aspekte beinhalten eine große Komplexität.
Was ich in den Tagen der intensiven Beschäftigung mit diesem Thema gelernt habe und vor allem fühlen konnte war, wie emotional aufgeladen das Spektrum ist und wie wichtig, erkenntnisreich und in neue innere Gefilde führend es ist, darüber zu sprechen.
Bevor ich darüber spreche, macht es durchaus Sinn, die Gedanken niederzuschreiben. Im Tun des Schreibens kommen plötzlich Aspekte ins Bewusstsein, von denen ich nicht ahnte, dass sie in mir schlummern. Ebenso wirft das Schreiben Fragen auf. Ich merke, dass die Beschäftigung mit dem Abschied vom Erdendasein mit vielen Themen des Lebens verknüpft ist. Facetten durchlebter Jahrzehnte flackern auf, Gutes und Schwieriges und auch, was eventuell noch nicht ganz verarbeitet wurde sowie Unsicherheiten, was genau ich mir für mein Ableben vorstelle.
Es ist hilfreich, sich für die Niederschrift an Fragestellungen zu orientieren. Diese bringen mich tiefer
in den Prozess. Ich habe gemerkt, dass ich gar nicht früh genug damit anfangen kann, ohne dass ich davon ausgehe, dass ein solches Ereignis – mein Tod – zeitnah auf mich lauert. Nein, darum geht es nicht,
und es ist auch keine angstvolle Verhaftung oder selbsterfüllende Prophezeiung, die über mir zu schweben beginnt, wenn ich mich diesen Dingen widme.
Selbstverständlich kann und sollte ich von Zeit zu Zeit in innere Klausur gehen, um zu prüfen, ob sich etwas und wenn ja, was sich möglicherweise verändert hat und wie es mir nun, zum jeweils gegenwärtigen Zeitpunkt, stimmig erscheint. Für den Sterbenden selbst als auch für die Zurückgebliebenen, die neben der Trauer gerade zu Beginn viele Aufgaben bekommen – Beerdigung, Bankgeschäfte, Wohnungsauf-lösung, Erbschaft – ist das Aufgeschriebene hilfreich, aufschlussgebend und erleichternd.
An zwei Fragen kann ich mich fürs Erste orientieren:
Was möchte ich zu Lebzeiten noch vollbringen?
Was möchte ich noch erlösen und in Ordnung bringen?
Das hört sich zuerst einmal profan an, so, als müsste es doch längst klar sein und wäre im Handumdrehen zu beantworten. Auch wird die Auseinandersetzung damit zeitlich nicht immer passen, denn es ist ja im ‚normalen Leben‘ schon genug Inhalt, Stress und Anspruch vorhanden. Es tut dann aber garantiert gut, die Programme des Lebens, die Routinen und Verantwortlichkeiten und die Muster des Aufschiebens
und Verdrängens kurz zu unterbrechen und diesen zwei Fragen einen Raum zu geben.
Bei näherem Hindenken ist es nämlich gar nicht mehr profan. Es öffnen sich innere Tore und Impulse kommen hoch, die zu Papier gebracht werden sollten.
Die Rubrik mit dem ‚noch vollbringen‘ fällt mir recht leicht. Im Grunde habe ich meine Wünsche auf der Platte, und auch, wo es noch hingehen darf und was mir entspricht. Aber auch nur grob, wenn ich ehrlich bin. Und es sind Aspekte, die ich der ferneren Zukunft zuordne. Aber – ich lebe doch jetzt, in diesem Moment!
Die zweite Fragestellung war bis dato noch gar nicht vorhanden. Ich muss dazu sagen, dass ich durch meinen gut dreißigjährigen spirituellen Weg bereits vieles angeschaut habe und irgendwann glücklicher-weise an den Punkt kam, Konflikte aufzugreifen, zu bereinigen oder im besten Falle durch klares Fühlen, Denken und Handeln gar nicht erst schwelen zu lassen und somit nichts gröber Ungutes entstehen zu lassen.
Authentisches Umgehen mit mir und anderen, das ist etwas sehr Wichtiges für mich. In meiner Kindheit und Jugend, sogar in der frühen Erwachsenenzeit sah das ganz anders aus. So wollte ich irgendwann nicht mehr leben, mit der Scham, dem schlechten Gewissen und der Angst vor der Reaktion anderer Menschen.
Dennoch finde ich den einen und anderen Aspekte zu der Frage, was noch zu erlösen ist. Das finde ich interessant und beachtenswert.
Schaue ich auf das Blatt mit den aufgeschriebenen Punkten, bin ich schon erstaunt, zum einen, wieviel dort steht und zum anderen, was es mit mir macht. Es ist durchaus eine Reise zu mir selbst, die Tiefgang und Potential hat. Es ist größer als vermutet. Und wenn ich dann im nächsten Schritt mit einer vertrauenswürdigen Person darüber spreche und mich austausche, wird das Ganze nochmals lebendiger und der Zugang zu meinen Emotionen ist voll da. Auch das Zuhören ist inspirierend. Mein Gegenüber hat seine eigene Thematik, seine eigenen Unsicherheiten und Erfahrungen, die in unsere Überlegungen hineinfließen. Diesen Austausch empfinde ich als große Bereicherung.
Für mich steht fest, dass ich eine Seebestattung haben möchte. In Deutschland ist das fast die einzige Möglichkeit, sich ohne feste Verankerung, sei es auf dem Friedhof oder im Friedwald, beerdigen zu lassen (darüberhinaus tut sich wohl gerade einiges in dieser Richtung).
Was sind meine Gedanken dazu? Zum einen möchte ich nicht, dass meine Kinder zu einem realen Ort gehen müssen, sich eventuell noch kümmern müssen oder ein schlechtes Gewissen entwickeln, weil
sie möglicherweise an einem andren Ort oder einem anderen Land leben und gar nicht mehr zu meiner letzten Stätte zurückkehren können oder wollen. Zum anderen liebe ich das Meer, die Weite, das Wasser und meine Freiheit. Es fühlt sich für mich absolut stimmig an, mich mit diesem Element auf der letzten irdischen Reise zu vereinen.
Je mehr ich mich mit dem Sterben auseinandersetzte, desto bedeutungsvoller schaue ich auf mein Leben und vor allem auf die Lebendigkeit in mir und in allem um mich herum.
Wie schnell lasse ich schon mal einen Tag verstreichen, weil ich mich nicht gut fühle und froh bin, wenn es Abend ist und ich den Tag abhaken kann. Natürlich weiß ich, dass jeder spirituelle Lehrer, jeder Coach und Therapeut betont, getreu nach ‚Carpe diem‘ den Tag zu nutzen. Allerdings ist es schnell dahingesagt und kann in einem Gespräch floskelhaft genutzt werden. Es geht jedoch viel tiefer und führt mich zum Verhandeln mit mir selbst, wie ich leben möchte. Natürlich werde ich jetzt nicht dramatisch und denke über ein völlig neues Lebenskonzept nach. So gesettelt bin ich in meinem Leben, und so viel Akzeptanz für meine Rahmenbedingungen ist da, dass ich im Großen und Ganzen einverstanden bin. Davon ausgehend kann ich dennoch oder gerade deshalb nach mehr Tiefe, mehr Wahrheit, mehr Achtsamkeit schauen und überprüfen, ob es nicht gerade jetzt, in diesem Augenblick, schon eine gewisse kleine oder größere neue Weichenstellung geben darf und kann. Vielleicht sogar ‚muss‘, um meiner Existenz, meinem Dasein auf der Erde und mir als spirituellem Menschen gerecht zu werden.
Ein weiterer spannender Gesichtspunkt wäre, sich zu fragen, was auf dem eigenen Grabstein stehen könnte. Hintergrund dieser Frage, um an dieser Stelle auf den biodynamischen Kontext der Craniosakraltherapie und dem erlebten Seminar zu kommen, war die Information, dass auf dem Grabstein von William G. Sutherland zu lesen ist ‚Be still and know‘.
William G. Sutherland war der Begründer der biodynamischen Craniosakralen Körperarbeit, die er in den 1920er Jahren entwickelte und später für uns craniosakral Praktizierende ins Leben rief. Er wiederum steht auf den breiten Schultern des Osteopathen und spirituell Forschenden Andrew Taylor Still (1828-1917), der mit seiner unkonventionellen Art, vor allem unter Berücksichtigung diverser geistiger Strömungen, den Grundstein der Osteopathie legte.
Als Craniosakral-Therapeutin verneige ich mich im Geiste vor diesen Größen und schätze mich glücklich, dieses Erbe angetreten zu haben.
Zurück zur Frage nach dem Grabstein und ob darauf etwas Persönliches, Aussagekräftiges stehen sollte. Nichts muss im Moment sprichwörtlich in Stein gemeißelt sein, aber was fällt mir denn eigentlich ein,
was würde ich als Quintessenz meines Lebens in Kürze zusammenfassen? Ich sammle ein paar Ideen,
die so sicherlich nie darauf stehen werden, denn es ist echt nicht einfach. Und ja, es wird nun bei mir auch keinen Grabstein geben, aber ist das Thema dann damit abgetan? Für mich mag das stimmen, aber ist das auch für die Familie, die Zurückgebliebenen stimmig? Diese Fragestellung könnte zu einem wichtigen Gespräch mit allen Beteiligten führen, um herauszufinden, was jeweils gedacht und gewünscht wird.
Ich denke daran, dass meine Katze seit einigen Wochen in meinem Garten begraben ist. Es stresst mich derzeit zwar noch, da ich noch trauere, aber es ist gleichsam auch ein Fulkrum, wie wir in der Cranio-Sprache sagen. Ein Dreh- und Angelpunkt, auf den ich mich beziehe, von dem aus Stille und gleichsam Bewegung ausgeht. Das möchte ich nicht missen.
Wie ich das für mich löse, werde ich mit meinen Kindern besprechen. Unbedingt sollen sie eingebunden werden, so dass mein Sterben und mein Tod im Dialog vorbereitet werden können.
Bewusstseinsverändernd sind diese ganzen Gedanken auf jeden Fall. Sterben als Teil des Lebens, vielleicht sogar als spirituelle Essenz, die unsere Lebensspanne durchwebt und irgendwann eine Inkarnation zu Ende bringt.
Die biodynamische Cranio-Arbeit hat etwas anzubieten für Mensch und Tier im Sterbeprozess. Sei es mit den Händen am Körper oder auch über die Ferne in der inneren Haltung der long tide, der Primary Respiration oder Ersten Atmung, die noch vor der Lungenatmung das Lebewesen durchwirkt.
Craniosakrale Sterbebegleitung hilft dabei, auf einer tiefen, inneren, bewussten und unterbewussten Ebene loszulassen. Der Mensch, das Tier, die Seele kommt zur Ruhe und innerer Frieden kann sich einstellen.
An diese Stelle passt ein Zitat von Rumi und eines von Dr. Sutherland:

(aus dem Skript von Michael Kern, London, im November 2025 in Berlin im Weg der Mitte)
Eine Zusammenfassung in Stickpunkten, was wir durch und mit dem Tod lernen können, als Lebender und Sterbender:
Hilft uns, die wichtigen Dinge zu priorisieren
Ermutigt uns, Gewohnheiten aufzugeben
Lässt uns präsenter sein
Erinnert an die Liebe und lässt diese erwachen
Macht uns nachdenklich, wie wir durchs Leben gehen wollen
Erinnert uns, Übergänge jeglicher Art zu bemerken und aufmerksam zu sein
Lässt uns dankbar sein für das Dasein
Ermutigt uns, das Leben intensiver zu schätzen und zu genießen
Hilft uns, Verhaftungen an vermeintliche Sicherheiten aufzugeben
Hilft uns, mit der Unbeständigkeit und Unsicherheit des Lebens zu fließen
Bringt uns in Kontakt mit dem Mysterium des Lebens und des Sterbens




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